Ausgabe 82 / April 2013

Blickpunkt: Auswege

82_AuswegeAusweg

oder Weg ins Aus …

Von Friedrich Dechant, Leiter TS Nordoberpfalz

‘Dein Körper weiß die Antwort’ heißt ein altes Standardwerk. Probleme kann ich mit Achtsamkeit auf meinen Körper besser lösen als ohne sie. Der Körper zeigt mir Wege und Auswege, wenn ich auf seine Signale höre. Er speichert den Stress und die Probleme und sendet mir über Schmerzen Signale, besser auf mich zu achten. Er weiß auch, wie die Lösung aussehen kann. Peter Levine hat das in seiner körperorientierten Traumatherapie wunderbar gezeigt. Wenn die natürlichen Schreckreaktionen und Schutzbewegungen des Körpers nicht bis zu ihrem Ende ausgeführt werden können, friert etwas ein. Die Erinnerung an dieses Trauma bleibt stecken, bleibt neuronal fragmentiert, unvernetzt und harrt der Lösung durch das körperliche Tun.

Die alten Theologen haben gewusst, dass die Seele die einzige formende Kraft des Körpers ist. Die Seele teilt sich nicht nur auf geistiger Ebene mit, sie drückt sich körperlich aus. Natürlich gilt das für Banalitäten wie die Sorgenfalten, die sich mir ins Gesicht gegraben haben, ebenso wie für komplexe Zusammenhänge wie zum Beispiel die Zahnschmerzen, die ein Anrufer hatte. Zahnschmerzen, für die niemand eine Erklärung fand. Schließlich ließ er sich alle Zähne entfernen, um dann unter Tinnitus und rasenden Kopfschmerzen zu leiden. Nicht immer ist die Sprache des Körpers leicht verständlich und nicht immer wollen wir auf sie hören. Auswege aus unseren Sorgen und Nöten könnte sie uns weisen, wenn wir hören und verstehen wollten. Auch, wenn der Körper eine Antwort, einen Ausweg weiß, muss ich mich entscheiden, ob mir der Preis nicht zu hoch erscheint und ob ich nicht lieber in dem Leid verharre, das mir vertraut ist. Ist der Suizid der Ausweg, den mir mein Körper zeigt durch die Depression, die Hoffnungslosigkeit oder durch die innere Unruhe und Gehetztheit? Oder ist er ein Irrweg?

In jedem guten Buch, das sich mit Suizidprävention beschäftigt, findet sich der Hinweis, dass der Helfer mit sich und seiner eigenen Einstellung zum Suizid im Reinen sein muss, um sich frei auf den Suizidanten einzulassen. Halte ich es für mich unter bestimmten Umständen für eine Möglichkeit, mich zu töten? Jeder und jede muss für sich diese Frage beantworten. In der Regel wird es in unserer mitteleuropäischen Lebenssituation dabei nicht um die Frage gehen, was ich tun würde, wenn ich denn Freunde oder Mitverschwörer gegen ein Unrechtsregime nur durch den eigenen Tod vor Ermordung und Folter schützen könne. Die Frage ist vielleicht, was ich tun würde, wenn ich Lungenkrebs hätte oder Nierenkrebs und es kein Spenderorgan gäbe. Sagt mir mein Körper nicht, dass die Schmerzen einen Ausweg weisen wollen, der sozusagen den Weg abkürzt? Was ist, wenn ich mich in meiner Depression selbst nicht mehr kenne, die anderen und ich mir selbst fremdgeworden sind? Wenn ich mich nicht einmal mehr an frühere Freuden und Hobbys erinnern mag, da diese Erinnerung nur tiefen Schmerz auslöst; was ist dann der Weg, der Ausweg?

Wenn meine Seele so zerquält ist, dass mein Körper kraft- und antriebslos ist, als warte er auf das Grab; oder wenn meine Seele so von Angst vor dem Leben, vor dem Scheitern gelähmt ist, dass ich nichts mehr tun kann? Ist dann die Antwort des Körpers die Beendigung des Leidens durch den Tod? Ist es ein Weg, sich auszuknipsen, so wie man das Licht ausknipst, wenn man geht? Der Suizid wird zum Akt der Ordentlichkeit; schließlich will ich ja niemandem zur Last fallen und mir selbst bin ich das schon lange genug.

Ich weiß auf diese Fragen und ähnliche keine abschließende Antwort. Ich weiß nur einige Fragmente.

Körperpsychotherapie will „eingefrorene” Gefühlszustände zu einer Lösung führen. Dabei geht es nicht um die Veränderung des Schicksals, sondern um eine neue Lebens- Erfahrung von und mit diesem. Der Ausweg zeigt sich dann nicht als Weg in den Tod, sondern als Weg aus dem Leid ins Leben. Die Antwort, die der Körper weiß, ist nicht die Vernichtung.

Vielleicht ist die Vernichtung die Antwort der Seele? Es gibt verschiedene religiöse Traditionen, die dies bestreiten würden. Eine, die mir bedeutsam ist, ist die, in der Jesus von sich sagt, er sei der Weg, die Wahrheit, das Leben. Das Wegwort soll wohl bedeuten, dass die Art und Weise seines Lebens uns zeigen kann, wie wir Leben sinnvoll gestalten können. Sicher gehören hier all die wunderbaren Beispiele seiner Nächstenliebe, seine Lehrgeschichten, die Rezeptionsgeschichte der Jesusgestalt erzählt. Vor allem aber gehört die Geschichte seiner Todesangst erzählt. Er hätte dem Foltertod entfliehen können. Er hätte flüchten können; schon in Ägypten hätte sich niemand für einen heruntergekommenen jüdischen Wanderlehrer interessiert. Er hätte sich umbringen können (auch wenn das im Judentum seiner Zeit nicht sehr populär gewesen wäre). Er tut das nicht.

Wahrscheinlich hat er sich schon früher mit dem geringen Erfolg seiner Verkündigung und mit Anfeindungen auseinandersetzen müssen. Jetzt ist er an einem Punkt, an dem ihm klar ist, dass er in diesem Konflikt nur sein Leben verlieren kann und er betet. Er stellt sich in die Tradition eines Beters, der sich genauso alleingelassen weiß: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen, bist fern meinem Schreien, den Worten meiner Klage?” (Ps 22,2) Der Weg Jesu ist nicht die Vernichtung von Seele und Körper, sondern das Gebet. Der Psalm kämpft mit Hoffnung und Hoffnungslosigkeit. Der Weg ist nicht leicht. Ob dieser Weg ein Ausweg ist, muss jeder und jede für sich selbst entscheiden.

Vor einiger Zeit hatte ich ein Anruferin am Telefon, sie war verzweifelt, lebensmüde. Sie sprach von der Hoffnungslosigkeit in ihrem Leiden und zitierte „mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen”, um ihre Einsamkeit zum Ausdruck zu bringen.

Ich fasste mir ein Herz und sagte ihr, wie das Psalmwort weitergeht. Sie war überrascht, wollte mehr hören, und ich las ihr eine Auswahl aus dem Psalm vor. Sie war gerührt und getröstet, bedankte sich und kurz darauf beendeten wir das Gespräch.

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